Der Polarlichtjäger

Als ich mich mit Tom Kerss unterhalte, wird schnell klar, dass er unsterblich in den Nachthimmel, vor allem aber in die Nordlichter verliebt ist.

Es sind nicht die Souvenirs, die überall in der Wohnung des Astronomen zu finden sind, die seine Leidenschaft verraten. (Sein Lieblingsstück ist die Tasse, die er für das Nordlicht-Video bekommen hat, das er vor ein paar Wochen mit Hurtigruten gedreht hat. „Sie riecht noch immer nach dem Rauch des Lagerfeuers, das wir gemacht haben“, sagt er, als er sie mir hinhält.)

Es ist auch nicht die lange Liste seiner Auszeichnungen: Er hat mehrere Astronomie-Bestseller verfasst, am renommierten Royal Observatory Greenwich gearbeitet und steht bei Nachrichtenorganisationen, die Expertenkommentare zu den Nordlichtern benötigen, auf Abruf bereit.

Ja, es ist nicht einmal die Tatsache, dass er einer der Astronomen an Bord unserer Astronomie-Reisen ist, wo er den Menschen die Wissenschaft hinter den Nordlichtern nahebringt.

Vielmehr ist es das aufrichtige Mitgefühl, das er meiner eigenen, bisher so erfolglosen Jagd nach den Polarlichtern entgegenbringt – schon drei Kurzreisen in die Nordlichtzone und noch immer keine einzige Sichtung: „Oh mein Gott! Du solltest an einer meiner Astronomie-Reisen teilnehmen, dann garantiere ich dir persönlich, dass du etwas sehen wirst und noch dazu eine großartige Zeit verbringst!“

Das ist ein verlockendes Angebot. Sicherlich kann Toms menschliche Wärme und seine mitreißende Energie mich für mein bisheriges Pech entschädigen und mir ein schillerndes, magisches Schauspiel bieten! Außerdem glaube ich, die Lichter mit Tom zu sehen, würde dem Erlebnis noch mehr Bedeutung verleihen, als wenn ich sie allein erlebe.

Obwohl Tom ein Wissenschaftler mit einem Abschluss in Astrophysik ist, wird im Gespräch mit ihm schnell deutlich, dass für ihn die Nordlichter und Norwegen weit mehr bedeuten als ein Phänomen, das durch den schnellen Eintritt elektrisch geladener Teilchen in die oberen Schichten der Erdatmosphäre verursacht wird. Es sind die Geschichten hinter den Nordlichtern und die beruhigende Perspektive, die mit ihnen verbunden ist – und eine verständliche Sorge, das beste Schauspiel seines Lebens vielleicht einfach zu verpassen.

„Kein Foto und kein Video könnte diesem Erlebnis jemals gerecht werden“, sagt er über die direkte Beobachtung der Nordlichter. „Es ist, als würde man eine Sonnenfinsternis im Fernsehen sehen. Es ist einfach nicht dasselbe. Es fühlt sich leer an. Wenn man eine echte Sonnenfinsternis in Wirklichkeit erlebt, dann versteht man, warum die Menschen auf die Knie gehen und beten. Das Polarlicht in natura zu sehen, ist, wie bei der Geburt von etwas Übernatürlichem dabei zu sein. Man spürt es ganz tief in seiner Seele. Dieses menschliche Gefühl der Demut, diese Erfahrung, sich in einer Welt voller Wunder ganz klein zu fühlen.“

Hier erzählt er uns, wie er sich zum allerersten Mal in die Nordlichter verliebte, warum er seiner „gesunden Sucht“ immer wieder nachgeht und was er sonst noch (fast) so wunderbar findet wie das Nordlicht.

Ich war wahrscheinlich etwa fünf Jahre alt. Das war, als wir in den frühen 1990er-Jahren in der Nähe von Lossiemouth an der Nordostküste Schottlands lebten. Wenn man dort am Strand steht, kann man im Winter manchmal Nordlichter sehen, aber nicht vergleichbar mit dem, was man in Norwegen sieht, wo die Lichterbänder über den ganzen Himmel tanzen.

Da ich damals noch sehr jung war, habe ich nur noch vage Erinnerungen an dieses Leuchten am Horizont. Aber ich weiß noch, wie ich meine Eltern danach gefragt habe. Mein Vater sagte, es seien die Nordlichter, und von da an konnte ich nicht mehr aufhören, an sie zu denken. Es war eines der Schlüsselerlebnisse, die dazu führten, dass ich begann, mich für den Weltraum und die Astronomie zu interessieren.

Doch erst 2007 beschloss ich, meine erste „richtige“ Nordlichtreise zu unternehmen. Ich werde nie den überwältigenden Eindruck vergessen, als ich die Nordlichter zum ersten Mal richtig sah. Ich war wie gebannt. Ich stieg aus dem Auto aus, ging mit meiner Kamera in der einen Hand darauf zu – und brach mit dem Fuß direkt in das Eis eines zugefrorenen Wasserlaufs ein! Das kalte Wasser holte mich, wie du dir denken kannst, schnell auf den Boden der Tatsachen zurück, aber schon bald darauf war ich wieder voll und ganz auf den Himmel konzentriert. Er war unglaublich. Ich hatte das große Glück, gleich bei diesem ersten Anlauf ein bemerkenswertes Schauspiel zu erleben.

Seitdem habe ich Polarlichter in allen möglichen Ausprägungen gesehen, von sanften und schwachen Erscheinungen bis hin zu regelrechten Stürmen. Dieses erste „richtige“ Erlebnis war bereits am oberen Ende der Skala. Nicht jeder hat beim ersten Mal so viel Glück, obwohl wir zu Anfang dieses Jahres eine fantastische Sichtung auf dem Schiff hatten – wahrscheinlich eine der besten, die ich in den letzten 10 Jahren erlebt habe. Es waren viele Reisende das erste Mal an Bord, und sie waren begeistert, dass sie von einem Team von Polarlichtjägern begleitet wurden, die ihnen sagten: „So etwas hat es schon lange nicht mehr gegeben!“

Ich habe sogar ein Foto von dem gefrorenen Wasserlauf gemacht, der mich überraschte, als ich meine ersten „richtigen“ Nordlichter gesehen habe! Es ist nicht unbedingt das beste Foto, aber man kann das Loch im Eis hinter mir sehen, direkt neben der Stelle, an der ich stehe.

Abgesehen von Kanada fast ausschließlich in Lappland, Norwegen und Island. Aber Norwegen ist definitiv mein Favorit. In Norwegen erwartet einen die wohl beeindruckendste Kulisse, die ich jemals gesehen habe. Island ist zwar ein wunderbares Fleckchen Land, um die Nordlichter zu beobachten, aber der Himmel dort ist öfter bedeckt. Norwegens nördliche Regionen sind atemberaubend. Die Berge sind fantastisch.

Da gibt es für mich zwei. Die eine Möglichkeit ist, ganz allein zu sein. Ich setze mich ins Auto und fahre weit hinaus, an einen Ort, wo keine Straßenlaternen mehr sind und wo man inmitten der Wildnis ist, völlig abseits der Zivilisation. Ich möchte mit den frühesten Ursprüngen von Himmel und Erde direkt in Kontakt treten. Ich suche die Unveränderlichkeit der Natur, dieses Gefühl, dass der Boden unter meinen Füßen und der Himmel über mir seit Milliarden von Jahren existieren, während ich gleichzeitig in Echtzeit verfolge, wie sich die Nordlichter bewegen. Es ist dieser Kontrast zwischen einem dynamischen Schauspiel und einer Landschaft beziehungsweise einem Himmelspanorama, die seit ewigen Zeiten bestehen.

Eine andere Erfahrung, die ich liebe, ist, die Reaktion von Menschen zu beobachten, die das Nordlicht noch nie gesehen haben. Wenn die ersten Lichterscheinungen am Himmel auftauchen, ist die Aufregung, die diese Menschen empfinden, einfach überwältigend. Sie ist geradezu mit den Händen greifbar. Manche Menschen schweigen, andere wiederum reden über … einfach alles! Die Reaktionen anderer Menschen zu beobachten, ist für mich inzwischen ein einmaliges Erlebnis.

Und ich bin glücklich, dass ich beides haben kann!

Hier ist ein Foto, das ich bei einer Nordlichtbeobachtung mit einer Gruppe gemacht habe. Heutzutage finde ich es genauso lohnend, die Reaktionen der Menschen zu beobachten, mit denen ich zusammen bin, wie die Nordlichter selbst zu betrachten.

Normalerweise vergesse ich erst einmal jeden wissenschaftlichen Hintergrund. In den ersten Minuten, wenn ein Nordlicht zu sehen ist, bin ich immer von purer Ehrfurcht ergriffen. Dann aber, da ich mich aber für die kurzfristige Vorhersage von Polarlichtern interessiere, vor allem wenn ich mit einer Gruppe von Leuten unterwegs bin, beobachte ich oft die Dynamik und versuche, den Leuten Hinweise zu geben, wo sie als Nächstes hinschauen sollen.

Da ich analytischer geworden bin, hat das Erlebnis zwar etwas von ihrem Geheimnis, aber nichts von ihrer Magie verloren. Obwohl ich genau verstehe, was dort passiert, ist das Gefühl noch immer dasselbe wie beim ersten Mal. Für mich ist es noch immer außergewöhnlich, dass die Nordlichter überhaupt erscheinen. Wer sie nicht selbst gesehen hat, denkt bei den Polarlichtern wahrscheinlich zuerst an eine eindrucksvolle Kulisse für magische Winterorte in Filmen und Serien – auf unseren Astronomie-Reisen diskutieren wir sogar die Rolle der Nordlichter in der Popkultur. Die Nordlichter sind wirklich magisch und sie sind real.

Es ist bekannt, dass die Nordlichter in sehr seltenen Fällen ein wunderbar knisterndes Geräusch erzeugen können. Es gibt sogar Legenden unter den Bewohnern der nördlichen Territorien Kanadas, die sich um diese knisternden Geräusche der Nordlichter ranken.

Doch damit die Polarlichter zu uns sprechen, müssen ganz bestimmte Bedingungen herrschen: Die Luft muss sehr ruhig sein und sich dann sehr schnell abkühlen. Wenn das geschieht, kann es passieren, dass eine warme Luftschicht eingeschlossen wird, die dann als statische Lücke fungiert, in der sich während eines sehr aktiven Nordlichtspektakels Ladungen aufbauen können. Und genau diese Aufladung führt dann zu dem knisternden Geräusch.

Diese Geräusche zu hören, ist für jeden Polarlichtjäger das höchste Ziel. Aber in meinen rund 250 Nächten der Polarlichtjagd habe ich es noch nie gehört. Noch nicht! Aber ich hoffe, dass ich es eines Tages erlebe!

Je mehr wir über das Universum lernen, desto mehr erfahren wir über uns selbst. Wir sind nicht vom Universum abgekoppelt. Es ist nicht irgendwo „da draußen“. Wir sind selbst ein Teil davon, und es ist tief in uns, da auch wir aus Teilen des Universums bestehen; wir alle tragen Teile der Sterne in uns.

Ich bin Wissenschaftler und die Wissenschaft ist ein Akt des Geschichtenerzählens, wobei die Geschichten auf Dingen wie Experimenten und Beobachtungen beruhen. Die Art, wie wir Ideen austauschen und die Welt nach unseren Vorstellungen gestalten, beruht auf dem Erzählen von Geschichten. Bevor es schriftliche Aufzeichnungen gab, schrieben unsere Vorfahren Geschichten aus Sternenlicht und platzierten sie am Himmel, wo sie unzerstörbar wurden.

Eine Verbindung zum Universum eröffnet uns einen Weg zu unserer eigenen Herkunft und unserer gemeinsamen Geschichte. Der Tierkreis ist ein gutes Beispiel dafür. Er ist ein Mosaik von Geschichten mit Figuren, die Archetypen und Dinge von gemeinsamer Bedeutung darstellen. Die Jungfrau hält eine Weizenähre, weil sie die Göttin des Weizens und der Ernte ist. Weizen war die erste Kulturpflanze, die angebaut wurde und es den Menschen ermöglichte, das Nomadendasein hinter sich zu lassen und sesshaft zu werden. Dies war die Geburtsstunde der Zivilisation und der Philosophie.

In gewisser Weise bietet der Nachthimmel also eine Möglichkeit, über Zeit und Raum hinweg eine Verbindung zu unserer gemeinsamen Menschheitsgeschichte herzustellen, und er ermöglicht es uns, eine tiefe Verbindung zu uns selbst einzugehen und zu unseren eigenen Wurzeln in grauer Vorzeit zurückzukehren – weit vor der Evolution der Erde, ja sogar vor ihrer Entstehung, zurück bis zu den ersten Sternen und sogar bis zum Urknall. Das eröffnet uns eine ungeheuer weitreichende Perspektive. Deshalb möchte ich, dass die Menschen es zu einem Teil ihres Lebens machen.

Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich die Nordlichter liebe! Meine Familie liebt meine Leidenschaft, aber nicht alle teilen sie auf dieselbe Weise. Wie viele andere Menschen sehen zwar auch sie die Schönheit der Nordlichter auf Fotos, aber sie erkennen auch die Herausforderungen, die es mit sich bringt, die Nordlichter selbst zu erleben.

Es ist kalt, manchmal sogar bitterkalt, aber das gehört für mich zu dem besonderen Gefühl des Nordlichts dazu. Viele Menschen verstehen nicht wirklich, warum ich meine Freizeit freiwillig an einem der kältesten Orte der Welt verbringe! Aber wie kalt es auch sein mag, für mich ist die Beobachtung der Nordlichter immer wieder eine Art Stressabbau.

Das ist eines der schönen Dinge an den Nordlicht-Reisen mit Hurtigruten. Das Schiff bietet wirklich das Beste aus zwei Welten. Es ist ein schwimmendes Hotel. Man kann an Deck gehen und sich fühlen, als wäre man inmitten der Arktis, doch dann kann man auch ganz schnell wieder hineingehen und sofort eine Tasse Kaffee trinken.

Dies ist mein allererstes „richtiges“ Foto von den Nordlichtern. Es ist zwar nicht spektakulär, aber es hält einen ganz besonderen Moment in meinem Leben fest, und deshalb ist es für mich mit besonderen Gefühlen verbunden.

Ganz einfach! Das Polarlicht bietet uns etwas, das meiner Überzeugung nach nichts anderes am Himmel oder auch auf der Erde uns bieten kann: das Versprechen, dass das beste Schauspiel unseres Lebens noch bevorsteht. Ich weiß nicht, wann es so weit sein wird, aber ich weiß, dass ich es nicht verpassen möchte.

Die Beobachtung des Nachthimmels ist eine wunderbare Art, seine Zeit zu verbringen, aber der Himmel und die Sternenkonstellationen verändern sich nur relativ wenig. Die Nordlichter hingegen sind jedes Mal absolut einzigartig. Du wirst niemals dasselbe Schauspiel zweimal sehen, und in der Tat wird kein Mensch jemals genau dasselbe Schauspiel sehen wie du.

Für mich ist es ungefähr so, als würde man versuchen, ein Einhorn zu sehen. Wenn du wüsstest, dass es da ist, würdest du es auch sehen wollen. Du könntest dem Verlangen nicht widerstehen, denn es ist wie echte Magie, die sich vor deinen Augen abspielt.

Und genau aus diesem Grund werden die Menschen auch süchtig danach, Polarlichter zu sehen. Jeder, den ich kenne, der die Nordlichter einmal gesehen hat, sagt, dass es eine Erinnerung fürs ganze Leben ist. Und das, selbst wenn sie etwas gesehen haben, das ich eher als durchschnittlich oder unterdurchschnittlich bezeichnen würde. Für viele Leute ist selbst das schon genug. Sie fühlen sich zufrieden. Aber 10 % der Menschen werden von einer regelrechten Sucht ergriffen. Und genau wie ich kehren sie immer wieder zurück.